Herriger Graduale
Das Herriger Graduale ist eine liturgische Handschrift aus dem Spätbarock, die zwischen 1715 und 1716 entstand. Es handelt sich um ein Choralbuch (Graduale) für den römisch-katholischen Messritus, in dem die gregorianischen Gesänge für Feste, Heilige und die regulären Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres zusammengestellt sind. Das Werk wurde im Juni 2019 in der Sakristei der Pfarrkirche St. Clemens in Herrig wiederentdeckt.[1]
Hintergrund und Auffindung[Bearbeiten]
Die Handschrift entstammt einer früheren Büchersammlung, die nach mündlicher Überlieferung vom Pfarrrektor Wilhelm Reyle der Gemeinde St. Clemens hinterlassen wurde. Nach ihrer Wiederentdeckung durch den Leiter des Historischen Archivs der Stadt Erftstadt, Dr. Frank Bartsch, konnte das Graduale nach der Zustimmung der Pfarrei St. Kilian in Lechenich als Depositum ins Stadtarchiv übernommen werden. Eine Restaurierung erfolgte mit finanzieller Unterstützung des Geschichtsvereins Erftstadt. Im August 2022 wurde das instandgesetzte Graduale erstmals öffentlich präsentiert.
Inhalt[Bearbeiten]
Das Herriger Graduale folgt in seiner Gliederung dem traditionellen liturgischen Aufbau gedruckter und handschriftlicher Gradualia. Es unterscheidet Proprium- und Ordinariumsteile, enthält Gesänge für alle Feste und Heiligen des Kirchenjahres sowie Votivmessen. Ein beigefügter Index erschließt die Gesänge praxisorientiert. Der Inhalt orientiert sich in Gattung, Reihenfolge und Auswahl der Feste am überlieferten „Kanon“ und weist inhaltlich keine eindeutigen Hinweise auf den Entstehungsort oder die Herkunft auf.
Anders als im 18. Jahrhundert bereits üblich, ist hier die Hufnagelnotation zur Aufzeichnung der gregorianischen Melodien verwendet worden. Diese Notation war in den romanischen Ländern durch die Quadratnotation weitgehend verdrängt. Die Schrift orientiert sich an der zeitgenössischen Antiqua, wobei der Schreiber zwischen Groß- und Kleinbuchstaben differenziert und reich verzierte, künstlerisch gestaltete Initialen einsetzt.
Urheberschaft[Bearbeiten]
Der Schreiber und Redaktor, Joh. Jac. Nacken, war ein regulierter Augustiner-Chorherr des Aachener Konvents St. Johann Baptist, der der Windesheimer Kongregation angehörte. Seine Tätigkeit im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts ist anhand weiterer von ihm gefertigter Amts- und Choralschriften belegt. Auch wenn Nacken selbst in den Archiven des Erzbistums Köln nicht nachweisbar ist, lässt sich seine Zugehörigkeit zum Aachener Windesheimer Konvent eindeutig feststellen. Ein direkter Bezug zum Fundort Herrig besteht nicht; der Entstehungsort ist im kirchlichen Umfeld Aachens zu verorten.
Vergleich mit dem Graduale Deutz[Bearbeiten]
Ein weiteres Graduale aus dem Aachener Konvent, verfasst von Joh. Ign. Deutz im Jahr 1738, bietet Vergleichsmöglichkeiten. Beide Werke verwenden ein ähnliches Repertoire und eine ähnliche Notation. Unterschiede zeigen sich in der Qualität der Ausführung, der künstlerischen Gestaltung und im Umfang einzelner Ordinariumsabschnitte. Spätere Ergänzungen in beiden Gradualen durch die gleichen Schreiber weisen darauf hin, dass beide Handschriften bis zur Aufhebung des Konvents in St. Johann Baptist in Gebrauch waren.
Künstlerische Gestaltung[Bearbeiten]
Die künstlerische Ausgestaltung des Herriger Graduale ist aufwendiger als beim Deutz-Graduale. Zahlreiche Miniaturen, ornamentierte Initialen und ein ganzseitiges Weihnachtsbild unterstreichen den besonderen Charakter des Werks. Die Bildinhalte, etwa die Darstellung Johannes des Täufers und symbolhafte Elemente wie der „Bergische Löwe“, lassen Rückschlüsse auf die Herkunft des Schreibers und auf die geistige Verortung der Handschrift in einem weiteren regionalen und konfessionellen Kontext zu.
Literatur
- Erwin Hardeck: Das Herriger Graduale (1715-1716): Die Entstehungsgeschichte einer außergewöhnlichen liturgischen Handschrift aus dem Spätbarock. In: Jahrbuch der Stadt Erftstadt 2025, S. 7 (Hrsg. Stadt Erftstadt)
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Erwin Hardeck: Das Herriger Graduale (1715-1716): Die Entstehungsgeschichte einer außergewöhnlichen liturgischen Handschrift aus dem Spätbarock. In: Jahrbuch der Stadt Erftstadt 2025, S. 7-34.